577 km Radreise - als Teil einer Weltreise mit dem Fahrrad - von der Grenze zu Uganda an den Virunga Vulkanen mit den letzten wild lebenden Berggorillas entlang nach Gisenyi am Kivu-See an der Grenze zum Kongo, über Bergpisten quer durch Ruanda in die Hauptstadt Kigali und weiter nach Südosten zur Grenze von Tansania.
11.08. - 19.08.2007 / 9 Tage
577 km
8.756 Höhenmeter
Höchster geradelter Punkt: 2.608 m
Bericht hinter den Fotos. Hier direkt zum Bericht!
Nachdem ich nach endlosen Verhandlungen mit einer mich umringenden Horde von Geldwechslern, die mit wilden Kursrechnereien gar nicht mal so ungeschickt versuchten, mich übers Ohr zu hauen, unsere verbliebenen Ugandan Shillings in Ruandan Francs umgetauscht hatte, gings endlich los Richtung Byumba. Und zwar auf der falschen, für uns inzwischen ziemlich ungewohnten rechten Seite der Straße. Über staubige kleine Schotterpisten gings durch die Berge nach Ruhengeri nahe den imposanten Virunga Vulkanen, Heimat der letzten verbliebenen Berggorillas. Doch ein einstündiger Besuch der Berggorillas kostete schlappe 500 US-Dollar und war (glücklicherweise!) auf kleine Gruppen ein Mal am Tag beschränkt, mit der Folge, dass die Permits lange im Voraus ausgebucht waren. So oder so also leider, oder besser gesagt glücklicherweise für die Gorillas, keine Chance für uns.
Also gings stattdessen über die Berge an den Kivu-See nach Gisenyi an der Grenze zum Kongo. Nur zu gerne hätten wir einen Abstecher in den Kongo gemacht, aber die Sicherheitslage hielt uns davon ab. Erst kürzlich waren wieder zwei Ausländer, ein Tourist und eine Ärztin von "Ärzte ohne Grenzen", nicht weit von hier erschossen worden.
Der Strand in Gisenyi war zwar ganz idyllisch, aber es regnete auch am zweiten Tag andauernd. Trotzdem wollte Hugo bizarrerweise mal wieder länger bleiben und das Einzige machen, was man hier machen konnte: den Tag im Bett verbringen. Das war mir zu blöd, also fuhr ich alleine los.
Nachdem ich zurück in die Berge über den Pass gefahren war, bog ich in strömendem Regen nach Süden Richtung Gitarama ab. Doch nach einigen Kilometern entpuppte sich die laut Karte angeblich asphaltierte Straße als ein steil bergauf und bergab führender Kies- und Schlammweg, der im ununterbrochenen Sturzregen eher einem Flussbett glich und mehr und mehr zu einem schmalen, nur für Allrad passierbaren, schlammigen Pfad verkam. Es ging zudem steil auf über 2.000 m Höhe und war somit nicht nur nass, sondern auch kalt. Kaum irgendwo ein Platz zum Zelten, und da ich auf weiten Strecken schieben musste, war an ein Erreichen des nächsten größeren Dorfes nicht mehr zu denken. Ich fragte einige Einheimische nach einer Möglichkeit zum Übernachten und hoffte, dass sie mir irgendetwas Trockenes zum Schlafen anbieten würden. Nach langem Hin und Her führten sie mich im noch immer strömenden Regen weg von dem Schlammpfad, den sie Hauptstraße nannten, tiefer und tiefer in die Berge in ein kleines Dorf zur dortigen katholischen Kirche.
Und was dann passierte, weiß wohl nur so wirklich zu würdigen, wer mal so mitten im Nirgendwo im strömenden Regen und in Kälte erschöpft und ohne Aussicht auf einen Schlafplatz mit dem Rad gestanden hat: Vater Bernard gab mir ein riesiges Zimmer mit Bad und brachte einen Eimer heißes Wasser zum Duschen. Dann tranken wir einen heißen Tee zusammen und erzählten, bevor wir abends zusammen ein Drei-Gänge-Abendessen mit Rotwein und am nächsten Morgen Frühstück mit einem großen runden Käse und heißem Tee hatten. Ich glaube, selbst Vater Bernard konnte sich nicht vorstellen, wie dankbar ich ihm tatsächlich war für seine so erschlagende Gastfreundschaft!
Ja, die Memme Hugo hatte inzwischen mit schlechtem Gewissen den Bus in die Hauptstadt Kigali genommen, wo ich dann nach zwei weiteren Tagen auf und ab auch endlich eintraf.
Nicht erst hier holte uns die Vergangenheit Ruandas ein: Eines der schlimmsten Versagen der Vereinten Nationen hatte vor vierzehn Jahren die so genannte "letzte Lösung" des Tutsi-"Problems" erlaubt: Deren völlige Auslöschung! Nachdem Hutu und Tutsi über Generationen friedlich zusammengelebt hatten, machte ihnen der weiße Mann fälschlicherweise klar, dass sie unterschiedliche Rassen mit unterschiedlichem Intelligenzniveau seien und verpasste ihnen Ausweise mit Angabe der "Rasse". Die Tötung von zehn belgischen Blauhelm-Soldaten hatte den gewünschten Erfolg gehabt: Mit einem Truppenaufgebot, das ausgereicht hätte, den Völkermord zu verhindern, waren auf Weisung Belgiens hin alle Mitarbeiter von Hilfsorganisationen, Diplomaten und Blauhelm-Soldaten aus dem Land abgezogen worden. Drei Monate lang hatte die Welt tatenlos zugeschaut, wie jeden Tag Tausende von Tutsi und mit ihnen symphatisierende Hutu systematisch abgeschlachtet worden waren. Das Erschreckendste war der Enthusiasmus gewesen, mit dem selbst Frauen und Kinder am Gemetzel teilgenommen hatten. Eine Million (!) Menschen, Erwachsene wie Kinder, waren erschossen worden, mit Macheten zu Tode gehackt oder sogar einfach zu Tode gequält. Die Straßen auf denen wir radelten, waren erst vierzehn Jahre zuvor von Toten, abgehackten Körperteilen und Blut übersät gewesen.
Zwei Tage später verließen wir das Land mit der schrecklichen Erkenntnis, dass wir dieses Mal nicht behaupten konnten, zu jung gewesen zu sein! Wir hatten zugeschaut, wie selbst kleine Kinder grausam niedergemetzelt worden waren. Von vielen wusste niemand, wann genau sie gestorben waren, ihr Todestag: Irgendwann im April. (Wer zumindest genauer wissen will, was er mithelfen hätte können, zu verhindern, sollte sich mal den Film "Sometimes in April" anschauen)