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Indien per Rad - Süd bis Nord

4.789 km Radreise - als Teil einer Weltreise mit dem Fahrrad - von Bangalore in einem Bogen durch Tamil Nadu im Süden, über Kerala an die Westküste, nach Goa und weiter nach Mumbai, durch die Große Thar Wüste nach Rajasthan, dann nach Osten über Jaisalmer und Pushkar nach Jaipur und nach Agra zum Taj Mahal, weiter nach Varanasi am Ganges und dann nach Norden bis zur Grenze nach Nepal.


Reiseroute

Daten

19.02. - 24.04.2007 / 65 Tage

4.789 km

18.573 Höhenmeter

Höchster geradelter Punkt: 2.490 m

Reisebericht

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Fotogalerie


Bericht

Karnataka, Tamil Nadu & Kerala

Ankunft 1.15 Uhr nachts in Bangalore, eine halbe Stunde Preisverhandlungen fürs Taxi, das meinen Radkarton und mich zur Herberge mit angeblicher "24-Std.-Rezeption" bringen soll. Um 3.30 Uhr nach langem gemeinsamen Suchen der Herberge endlich da, alles dunkel und zu. Ich die "24-Std.-Rezeption" angerufen, nach einer Ewigkeit geht jemand verschlafen dran, nach einer weiteren Ewigkeit lässt man mich endlich hinein. Ich beziehe mein Bett für umgerechnet 1,10 Euro pro Nacht und endlich ist Ruhe - ich bin in Indien!

 

Mit Ruhe sollte es von nun an vorbei sein, mit den Temperaturen unter 30 Grad ebenfalls. Vorbei war es auch mit meinem Weitwinkelobjektiv, das nun endgültig sein Leben ausgehaucht hatte. Und da auch schon das erst in Australien neu gekaufte Tele-Zoom-Objektiv erste Fehlermeldungen produzierte, damit das dritte Objektiv war, das die holprigen Straßen nicht überstanden hatte und ich es langsam satt hatte, mein Geld sinnlos für sündhaft teure digitale SLR-Objektive aus dem Fenster zu werfen, kaufte ich in Bangalore eine kleinere digitale Kompaktkamera. Außerdem verpasste ich mir eine Meningitis-Impfung und nach vier Tagen befand ich, mich ausreichend an den unvorstellbar lauten und chaotischen Verkehr, das beste Essen seit Monaten und die oft lächerlich niedrigen Preise gewöhnt zu haben und radelte endlich los.

 

Nachmittags kam ich in Mysore an und hatte riesiges Glück, sofort zwei andere Radler zu treffen: Hugo aus Belgien und Douglas aus England. Hugo zog leider weiter nach Norden, während Douglas und ich noch blieben, um den Maharadja Palast am nächsten Tag von 97.000 Glühbirnen erleuchtet zu erleben. Mit Douglas, langjähriger und erfahrener Indien-Radler, fuhr ich zusammen weiter nach Süden durch den Bandipur Nationalpark und dann hinauf in die Nilgiri Hills in die 2.300 m hoch gelegene Hill-Station Udhagamandalam (Ooty), wo es zur Freude von vor allem Douglas etwas erträglichere Temperaturen gab. Mir konnte es nach der langen kalten Zeit in Patagonien nicht heiß genug sein, aber auch das sollte sich noch ändern...

 

Durch Teeplantagen rauschten wir drei Tage später nach Süden, wieder hinunter in die heiße Ebene, verloren uns irgendwie und teilten dann abends doch wieder das gleiche Zimmer, weil Douglas in der relativ großen Stadt magischerweise zufällig genau das gleiche Hotel wählte, in dem ich gerade unter der Dusche stand und in dem man ihn mit den überraschenden Worten, dass sein Freund schon da sei, begrüßte. Trotzdem musste ich mich leider von Douglas verabschieden, denn er fuhr weiter nach Osten, bevor er nach Sikkim im Himalaya fliegen wollte. Wir hofften, uns in Nepal in ein paar Wochen wiederzutreffen. Ich machte mich auf den Weg nach Westen, verließ Tamil Nadu und stieß in Kerala auf die Küste und die Arabische See, wo ich schließlich nach Norden drehte, noch 600 km bis Goa!

Goa & Maharashtra

Ehemals portugiesische Kolonie, palmengesäumte Strände und berühmt für seine Psychedelic-Trance-Open-Air-Partys, ist Goa der Ursprung dieser Goa-Musik Nach-Hippie-Bewegung. Bevor ich mich auf in die Partyzentren Anjuna und Vagator weiter im Norden machte, blieb ich ein paar Tage im idyllischen und paradiesischen Palolem Beach, dem postkarten-perfekten Traumstrand im Süden Goas. Ich bezog meine Bambus-Stelzen-Hütte unter Palmen direkt am Strand mit Meerblick und wollte gerade meine neu erworbenen Goa-CDs auf meinen MP3-Player packen, als dieser heiß erglühte und keinen Mucks mehr von sich gab. Nein, dieser USB-Hub funktioniere natürlich nicht, meinte man betroffen, obwohl ich noch genau das drei Minuten vorher drei Mal gefragt hatte. Ein Achselzucken, was wollte man machen, Indien halt... In Goa's Hauptstadt fand ich dann nach stundenlangem Suchen tatsächlich einen neuen, der keine billige Markenkopie zu sein schien.

 

Nach ein paar Tagen unter Palmen, mit Live-Musik am Strand, Sonne, die morgens durch die Bambuswand schien und mich weckte, und einfach mal Nichtstun, gings weiter nach Norden. In den mehr von Pauschaltouristen in Beschlag genommenen Stränden in Colva, Benaulim, Calangute und Baga Beach blieb ich nicht lange, sondern fuhr endlich nach Anjuna und Vagator. Ich war auf Partys direkt am Strand und in spektakulären Open-Air-Discos auf den Klippen über dem Meer. Ich streifte über den legendären Mittwochsmarkt am Strand von Anjuna und mit Isaiah und Vikash aus den USA stattete ich dem größten Club Goas, dem Paradiso, einen Besuch ab. Mit mehreren eindrucksvoll zum Meer hin abfallenden Open-Air-Dancefloors und Bar-Terrassen der ultimative Tempel für Trance-Music! Und wie es sich gehörte, war die Tanzfläche auch, als schon die Vormittagssonne durch die Palmen schien, noch immer voll... Oha, ich würde wohl noch mal wiederkommen!

 

Ein paar Tage später war ich in Bombay, oder auch Mumbai, und hier hätte sich mein Leben ändern können. Ich lief gerade mit Dennis aus Holland durch Bombay's Innenstadt, als wir direkt am ersten Abend für einen Bollywood-Film gecastet wurden. Mit Bezahlung und Verpflegung, Dreharbeiten die ganze Nacht in einem der Studios der riesigen indischen, Hindi-sprachigen Filmindustrie im Norden Bombays. Aber wir lehnten ab, denn ich hatte mir auf dem Weg hierher mal wieder eine Bindehautentzündung eingefangen und Dennis wollte eigentlich auch nicht. Und so war es weniger die verpasste Filmkarriere, als mein Treffen auf die renommierteste Augenklinik Asiens, die mein Leben hätte ändern können. Neben der Behandlung meines rechten Auges ließ ich mir nämlich einen Termin für das Lasern meiner Augen mit einem neuen Verfahren geben, mit dem das nun auch bei mir endlich möglich war. Mit nagelneuem deutschen Laser, zu einem Bruchteil des Preises in Deutschland natürlich. Nach einer Stunde Nachforschens im Internet und dem Lesen erschreckender Geschichten von Sehverschlechterungen bis hin zu "fast-blind" nach der Operation verwarf ich die Idee leider schweren Herzens und "entschädigte" mich mit einer sündhaft teuren Auffrischung meiner Japanischen-Enzephalitis-Impfung. Ich fuhr zum Sonnenuntergang an den Chowpatty Beach, besuchte die über 5.000 Männer, die im Mahalaxmi Dhobi Ghat täglich tausende Kilo von Bombays Wäsche waschen und besuchte ein paar Tempel und Märkte, bevor ich mich auf den Weg weiter nach Norden Richtung Rajasthan machte, noch immer mit Kontaktlinsen...

Gujarat & Rajasthan

Die Tage bestanden eigentlich nur aus Radfahren in brütender Hitze und, naja wie überall in Indien, aus Hemmungslos-begafft-werden wie ein kleines grünes Männchen von einem anderen Stern. Die Temperaturen stiegen noch vor Mittag über 40 Grad, in der Großen Thar Wüste bis 46 Grad im Schatten, in dem man aber ja nie fuhr! So stoppte das kleine grüne Männchen dann immer mal wieder an einfachen Restaurants an der Straße, ließ sich auf einen Stuhl unter einem Ventilator irgendwo im Schatten fallen und bestellte sich einen Tee oder etwas zu essen. Wenn das kleine grüne Männchen dann das normale aus dem Boden gepumpte Trinkwasser noch dazu gleich kübelweise in sich hineinschüttete, statt wie sonst alle anderen grünen Männchen abgepacktes Trinkwasser zu kaufen, da wurde die es umringende Menschenmenge gleich noch größer. Woher es denn komme, wollte man üblicherweise als erstes wissen. Ah, aus Germany, das sei ja das Land, das die Atombombe auf Hiroshima abgeworfen habe, wusste man stolz und mit einem breiten Grinsen im Gesicht zu berichten. Das kleine grüne Männchen guckte ganz entsetzt und überlegte, wie es jetzt den Spagat zwischen Den-anderen-nicht-das-Gesicht-verlieren-lassen und geschichtlicher Grundaufklärung hinbekäme, schüttelte dann aber doch den Kopf, murmelte sowas wie "ne ne, die USA..." und wechselte schnell das Thema. Wenn sich die Körpertemperatur des kleinen grünen Männchens dann wieder auf die normalen 37 Grad abgesenkt hatte und alle anderen üblichen Fragen nach Anzahl der Kinder, woher, wohin, wie lange unterwegs und Preis des Fahrrads mehr oder weniger wahrheitsgemäß beantwortet waren (mein Rekord an Kindern war sieben, was man anerkennend zur Kenntnis nahm), tauchte das kleine grüne Männchen noch einmal T-Shirt und Kopftuch ins Wasser, um der mörderischen Hitze wenigstens auf den ersten paar hundert Metern etwas entgegensetzen zu können und machte sich wieder auf den Weg.

 

Acht Tage später fuhr ich in die Wüstenstadt Jaisalmer in der Großen Thar Wüste nahe der Grenze zu Pakistan ein. Mit ein paar anderen wanderte ich durch das gigantische und atemberaubende Sandsteinfort über der Stadt und fuhr zum Sonnenuntergang zu den in der Wüste gelegenen Sam Sand Dunes. Weiter gings nach Jodhpur mit seiner Altstadt aus unzähligen blauen Häusern und dem schrecklichen indischen Gemisch aus engen Gassen, vollgepfropft mit lärmenden Motorrädern, Motor-Rickshaws, Kühen, Gestank, Menschenmassen, Staub und Dreck. Zudem streckte mich ein dubioser Fruchtsaft von einem der Straßenstände mit Magenkrämpfen für einen Tag nieder und so war ich froh, als es endlich weiter ging nach Pushkar, einer Oase mit über 400 Tempeln um einen heiligen See herum, am Rande der Großen Thar Wüste und mit einem irgendwie passenden Gemisch aus Travellern und Pilgern.

 

Mit einem vermutlich selbst ernannten Priester beging ich die Hindu-Prozedur am heiligen See, wo wir alle meine Familienmitglieder, tot oder lebendig, durchgingen und um deren Glück baten. Ich bekam ein Armband und mit dem Werfen der letzten Lotusblüten in den See einen großen Wunsch frei für mich selbst. Dass das Handy des Priesters während der Prozedur drei Mal klingelte und wir für die ausgedehnten Gespräche unterbrachen, nahm dem Ganzen zwar so ein bisschen den authentischen Spirit, aber der war auch ganz schnell wieder da, als eine Frau, deren Mann gestorben war und die sich hier an diesem heiligen See von ihm verabschiedete, in Tränen um den Beistand des Priesters bat (Nicht ohne ihm natürlich, so wie ich, ein paar Scheine für seine Dienste zuzustecken..).

 

In Jaipur, im Osten Rajasthans, traf ich Vikash und Isaiah wieder, die ich in Goa kennengelernt hatte. Zusammen mit noch ein paar amerikanischen Studenten aus der Stadt feierten wir den Geburtstag von einer von ihnen, zogen auf der Suche nach einem noch geöffneten Club oder einer Bar durch die Stadt und feierten dann doch in unseren Hotelzimmern weiter.

Uttar Pradesh

Ein paar Tage später besuchte ich die Geisterstadt und das Fort von Fatehpur Sikri und dann war ich in Agra, dem Ort mit dem "Wahrzeichen" Indiens, seinem berühmtesten Bauwerk, dem Taj Mahal. Vom Shah Jahan mit gebrochenem Herzen gebaut zum Gedenken und als Mausoleum für seine zweite Frau Mumtaz Mahal, die starb, als sie ihr vierzehntes gemeinsames Kind gebar, ist es wohl das extravaganteste Gebäude dieser Erde, das je aus Liebe gebaut wurde. Ein magischer Ort, unglaublich schön, wie in einem Märchen, wenn man es schafft, sich die Horden von Touristen wegzudenken, die das Taj Mahal täglich von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang umkreisten...

 

Ich fuhr weiter nach Osten, nach Varanasi (ehemals Benares) am heiligen Ganges, streifte stundenlang an den Badestellen, den Ghats, die das gesamte Flussufer säumten, entlang, schaute den Menschen, die zumeist von sehr weit hierher gepilgert waren, zu, wie sie im heiligen Wasser badeten und beteten. Ich beobachtete Verbrennungszeremonien am Ufer , wo täglich etwa 250 Leichen aller Kasten verbrannt wurden und als größtmögliche Ehre für die Verstorbenen ihre Asche in den Ganges gestreut wurde. Da zudem aber auch alles andere dieser riesigen Stadt im Fluss landete (das Wasser beinhaltete etwa 1,5 Millionen Fäkalbakterien pro 100 ml. In Wasser, das fürs Schwimmen geeignet ist, sollte dieser Wert wohl bei weniger als 500 (!) liegen...), Büffel darin gewaschen wurden und aller möglicher Dreck darin rumschwamm, verzichtete ich trotz der Affenhitze auf die Abkühlung. Ein paar Tage später fuhr ich dann noch etwa 100 km nach Osten, bevor die Straße nach Norden drehte, Richtung Himalaya! Noch 250 km bis zur Grenze nach Nepal!

 

Es waren unglaubliche zwei Monate in Indien gewesen und ich hätte allein hierüber ein ganzes Buch schreiben können. Was hier geschrieben steht ist nur ein winziger Bruchteil von dem, was ich in diesem Land erlebt hatte. Indien schockte mit seiner unvorstellbaren Armut und die Menschenmassen, die ständig um einen herum waren, zehrten manchmal an den Nerven. Der Verkehr war wohl so mit das Schlimmste, was man sich als Reiseradler auf dieser Erde antun konnte, und die mörderische Hitze so kurz vor dem Monsun war schier unerträglich. Seit über zwei Monaten hatte ich nachts quasi keine Zimmertemperaturen mehr unter 30 Grad gehabt, meist 33 bis 36 Grad! Schlafen war auch wegen Malaria verbreitenden Mücken nur mit Moskitospiralen und unter voll aufgedrehtem Ventilator möglich, wenn denn nicht mal wieder Stromausfall war... Aber Indien machte auch unheimlich glücklich, das fast nur vegetarische Essen war vor allem im Süden Indiens allein schon die Reise hierher wert, und es waren seine Menschen, die Indien so einzigartig machten, wenn man mit den Kindern erzählte und lachte oder mit alten Menschen irgendwas hin und her murmelte. Indien inspirierte, frustrierte, begeisterte und machte glücklich, und das alles auf einmal.

 

Ich überquerte die Grenze zu Nepal und freute mich auf Berge, deutlich weniger Verkehr, menschenwürdigere Temperaturen und, vor allem, ... ein ganz kleines bisschen Ruhe!


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