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Bolivien per Rad

968 km Radreise - als Teil einer Weltreise mit dem Fahrrad - von der peruanischen Grenze am Titicaca-See in die Hauptstadt La Paz, über die Death Road hinab in die Yungas in den Amazonas-Dschungel, anschließend Besteigung des 6.088 m hohen Huayna Potosi von La Paz aus, dann weiter über das Altiplano nach Süden zur Mine Cerro Rico bei Potosi, über den Salzsee Salar de Uyuni und zur Laguna Colorada im äußersten Südwesten Boliviens bis zur chilenischen Grenze im Nirgendwo.


Reiseroute

Daten

09.09. - 10.10.2006 / 32 Tage

968 km

4.905 Höhenmeter

Höchster geradelter Punkt: 4.725 m

Reisebericht

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Fotogalerie


Bericht

Titicaca-See nach La Paz

Ich hatte es ja schon vorher gewusst, aber die Ausmaße überraschten mich dann doch: Nachdem ich die Grenze zu Bolivien überquert hatte, erwartete mich eine von hunderten Fels- und Geröllblockaden versperrte Straße nach Copacabana am Südufer des Titicaca-Sees! Mal wieder protestierten die Campesinos gegen Landenteignung. Land, das die Kirche ihnen einst gegeben hatte und nun wieder zurückforderte. Nur Fußgänger und Radfahrer durften passieren und so schlängelte ich mich durch die endlosen Blockaden ins völlig ausgestorbene Copacabana. Alles war geschlossen, denn kaum ein Tourist nahm den 8 km langen Weg zu Fuß auf sich. Außer Bartek, mit dem ich ja schon in Peru unterwegs gewesen war, der dann am nächsten Tag eintraf. Da sowieso alles, von Geschäften über Restaurants und Hotels, verrammelt und verriegelt war, abends Steine auf ein Militärfahrzeug flogen und Sachen auf der Straße angezündet wurden, verdrückten wir uns lieber und starteten einen Tag später für zwei Tage Trekking auf die Insel Isla del Sol. Wir wanderten einmal um die Insel herum, die zwar schön, aber nicht spektakulär war. Zwei Tage später waren wir wieder in Copacabana, wo die Blockaden inzwischen aufgehoben worden waren. Zum Glück für Bartek, der so einen Bus nach La Paz bekam. Ich radelte natürlich und zwei Tage später fuhr ich auf der Autopista über den Canyonrand in den gigantischen Kessel von La Paz auf knapp 4.000 m!

Death Road & Amazonas-Becken

Hier traf ich mich dann nicht nur mit Bartek wieder, sondern auch mit Dan und Griffo aus Australien, die ich ja auch schon in Peru getroffen hatte. Zu viert wollten wir ins Amazonas-Becken, in den bolivianischen Dschungel. Hinfliegen war uns zu teuer, aber die einzige Straße, die von La Paz hinunter durch die Yungas in den Dschungel führte, war die berühmt-berüchtigte Death Road! Eine einspurige Schotterstraße, abenteuerlich in Steilwände gesprengt, mit ungesicherten Abgründen von bis zu 1.000 m Tiefe. Mit durchschnittlich 100 Todesopfern pro Jahr nachgewiesenermaßen die gefährlichste Straße der Erde! Und da immer der Bergabfahrende an der Außenkante fahren musste und erst vor kurzem wieder ein Bus in die Tiefe gestürzt war, hielt sich unser Verlangen auf eine Busfahrt bergab in Grenzen. Nach einigem Hin und Her war eine Lösung gefunden: Wir buchten eine Mountainbike-Tour für die Death Road, was im Nachhinein allerdings angesichts der Qualität und dem Zustand der Räder vermutlich gefährlicher war... Zudem artete die Abfahrt in ein hartes, aber spaßiges Downhillrennen aus! Erstaunlicherweise flog keiner von uns in den Abgrund und 3.500 m tiefer in Yolosa war dann Schluss. Es war heiß, endlich mal wieder (!), und wir warteten auf den Bus für die 14 Stunden lange Holperfahrt tief ins Amazonas-Becken ins feucht-heiße Rurrenabaque.

 

Nach zwei Tagen hatten wir dann eine Tour mit Guide und Verpflegung für zwei Tage in die Pampa und für zwei Tage in den Dschungel organisiert. Die Zeit bis dahin vertrieben wir uns mit Fußball spielen und dem Besuch von Karaoke Bars, zur Belustigung der Einheimischen.

Dann gings endlos mit einem Jeep über Schotterpisten und dann weiter mit einem Einbaum-Boot stundenlang über den Rio Yacuma durch die Pampa. Und was man da alles vom Boot aus sah, war unglaublich: Tausende von Alligatoren, hunderte von Capibaras und Schildkröten, Kaimane, Paradiesvögel, Störche, Affen und Tukane! Nachdem wir uns im Camp eingerichtet hatten, gings zum Piranha-Fischen. Ich hatte irgendwie kein Glück und hatte nur ein paar Sardinen gefangen, aber bei den anderen lief es besser und so gab es frittierte Piranhas zum Abendessen!

 

Nachts fuhren wir dann nochmal mit dem Einbaum raus. Ohne Motor ließen wir uns auf dem träge fließenden Fluss ganz langsam durch die Dunkelheit treiben. Überall waren vereinzelte Tierlaute zu hören und im Licht der Taschenlampen blitzten hunderte von Alligatorenaugen. Doch später, als mal keiner etwas sagte, keine Taschenlampe leuchtete und auch vom Boot kein Geräusch mehr zu hören war, wie es auf dem Wasser langsam dahintrieb, da war es zum ersten Mal da: das Gefühl, als Mensch nicht zu stören. Ein unglaubliches Gefühl! Ich wäre am liebsten noch die ganze Nacht geräuschlos durch diese eigene Welt getrieben...

Am nächsten Morgen gings zu Fuß auf die Suche nach einer Anaconda und nach ein paar Stunden Wandern entdeckten wir tatsächlich eine. Außer mir und Bartek wollte keiner das Drei-Meter-Ungetüm hochheben. Naja, ich tats fürs Foto, ließ sie dann aber auch schnell wieder runter, nicht nur weil sie ganz gewaltig stank, sondern auch, weil sie überraschend kräftig versuchte, sich um mich zu winden...

 

Auf dem Weg mit dem Boot zurück zur Straße sprangen wir dann nochmal an einer Stelle, an der ein paar rosa Delfine herumschwammen, ins Wasser. Irgendwie musste die Aussage "no peligroso" (nicht gefährlich) des Guides mich überzeugt haben, denn sonst wäre ich wohl niemals in einen braun-schlammigen Fluss gesprungen, wenn nur wenige Meter entfernt am Ufer Alligatoren mit offenen Mäulern dabei zuguckten und ganz sicherlich auch welche im trüben Wasser um uns herumschwammen...

 

Nach einer Nacht in Rurrenabaque gings schon wieder los, dieses Mal mit dem Boot auf dem Rio Beni tiefer in den Dschungel, wo wir zwei Tage mit Dschungeltrekking verbrachten. Auch sehr schön, aber nicht annähernd so viele Tiere zu sehen, wie in der Pampa!

 

18 Stunden lang ging es holpernd im Bus zurück nach La Paz, diesmal ja auf der sicheren inneren Seite der Death Road.

Huayna Potosi

Es war eine tolle Zeit zusammen gewesen und nach einigem Hin und Her beschlossen wir, noch zusammen den 6.088 m hohen Huayna Potosi zu besteigen, so quasi als Abschluss, bevor wir uns alle wieder trennen würden.

 

Nach zwei Tagen Akklimatisation und Organisation gings los! Das Taxi schaffte mit der ganzen Ausrüstung einen steilen Anstieg nicht, also schieben. Dann blieben wir noch mit Kühlerschaden liegen, den der Fahrer aber irgendwie wieder hinbekam. Im Schneegestöber stiegen wir zum High Camp auf 5.130 m auf und um Mitternacht starteten wir. Bartek, Andy aus den USA und ich mit Guide Miguel in einer Seilschaft. Zwar war der Huayna Potosi ohne technisches Eisklettern, wie es ja in Peru am Tocllaraju nötig gewesen war, zu bezwingen, aber ohne zumindest eine Eisaxt kam man nicht über einige Passagen im Gletscher. Und erst recht brauchte man sie für den letzten Steilhang, den wir kurz nach Sonnenaufgang erreichten. Äußerst anstrengend kämpften wir uns Meter für Meter steil bergauf, bis wir endlich auf dem Gipfel auf 6.088 m standen! Ich war dem Himmel nochmal ein paar Meter näher gekommen...

 

Dan und Griffo trafen wir erst nach einem schier endlosen und anstrengenden Abstieg im High Camp wieder. Sie hatten leider nach drei Versuchen in der letzten Steilwand aufgeben müssen. Auch wenn es bei weitem nicht so hart und schwierig wie am Tocllaraju in Peru gewesen war, schlauchte mich der Abstieg zum High Camp und dann weiter hinunter zur Straße doch sehr und so waren wir alle ziemlich kaputt, als wir wieder in La Paz ankamen. Auch, wenn wir es nicht alle vier bis auf den Gipfel geschafft hatten, war es doch irgendwie ein würdiger Abschluss unserer gemeinsamen Zeit! Am nächsten Tag verabschiedete ich mich erst von Bartek, der nun mit dem Bus wieder nach Ecuador fuhr, und dann von Dan und Griffo, die mit dem Bus weiter nach Süden fuhren. Es war eine tolle Zeit gewesen!

La Paz nach Potosi

Nun würde ich nach langer Zeit mal wieder alleine unterwegs sein müssen. So dachte ich, doch schon einen Tag nachdem ich La Paz verlassen hatte, traf ich Jeannette und Gerrit, zwei Radler aus Holland, die ich vorher schon mal in Peru beim Machu Picchu getroffen hatte. Die beiden waren seit Peru mit Harald aus Deutschland unterwegs und alle drei in Alaska gestartet und nun auch schon über ein Jahr unterwegs. So radelten wir nun zu viert weiter übers knapp 4.000 m hohe Altiplano nach Süden.

 

Irgendwie hatte ich die drei dann doch überzeugen können, mit mir zur Stadt Potosi zu fahren, um eine der Minen im Berg Cerro Rico zu besuchen. Um uns einen langen Umweg zum Salar de Uyuni zu ersparen, nahmen wir von Challapata, wo wir die Räder im Hostal ließen, einen Bus nach Potosi. Über 250 aktive einzelne Minen gab es zurzeit im Cerro Rico. In diesen arbeiteten jeden Tag 12.000 Menschen und sprengten sich, zu kleinen Kollektiven organisiert, kreuz und quer unter unvorstellbaren Arbeitsbedingungen durch den Berg. Es gab keine Messungen, die kontrollieren würden, wer gerade wo sprengt und wo sich welche Mine befand. Und so kamen zu den katastrophalen, mittelalterlichen Bedingungen auch noch Kämpfe mit rivalisierenden Minen, die auch mal mit Dynamit ausgefochten wurden. Aufgrund Asbest und giftiger Gase, die die Lungen zerstörten, lag die verbleibende Lebenserwartung eines dort anfangenden Arbeiters bei nur noch 10 bis 15 Jahren!

Kreuz und quer, rauf und runter, gingen und krochen wir durch teils erschreckend enge Schächte mit abenteuerlich abgesicherten Einstürzen und tiefen Abgründen und waren alle froh, als wir ein paar Stunden später wieder draußen waren. Es war vermutlich mit einer der gefährlichsten Orte, an denen ich je gewesen war! Von den 12.000 Menschen, die an diesem Ort jeden Tag arbeiteten, waren etwa 2.000 noch Kinder! Mit Kokablättern betäubt wühlten sie sich Tag für Tag durch den Berg, weil sie keine andere Wahl hatten. Die jüngsten waren erst 10 Jahre alt. Einer, der auch in diesem Alter angefangen hatte, war vor ein paar Tagen im Alter von 29 Jahren gestorben. Er hatte seine Lebenserwartung damit um 5 bis 10 Jahre übertroffen. Sein Spitzname war "Botitas" (kleine Stiefel) gewesen.

Salar de Uyuni

Die nächsten Tage ging es über Rüttel- und Sandpisten weiter nach Süden zum gigantischen ausgetrockneten Salzsee Salar de Uyuni. Nach einem Abstecher zum Ort Uyuni und dem dortigen Eisenbahnfriedhof gings los: Wir nahmen Kurs auf 277 Grad und rollten aufs Salz! Ein unglaubliches Gefühl in einer surrealen Landschaft! Endloses blendendes Weiß bis zum Horizont, unter einem stahlblauen, wolkenlosen Himmel! Nach zahllosen Pausen und unzähligen Fotos fuhren wir tatsächlich 76 km später genau auf die Insel Incahuasi zu, die mit Riesenkakteen uebersät in der Mitte des Salars lag. Nach einer Nacht im dortigen Refugio, wo man uns superfreundlich aufnahm, gings weiter ans Südufer, unterbrochen von hunderten Pausen und Fotostopps. Es war wohl eine der atemberaubendsten Landschaften, durch die ich je gefahren war und ich hätte noch tagelang über das harte Salz pedalen können!

 

Nach einigen Kilometern übler Sandpiste erwartete uns am nächsten Tag in Colcha K der Jeep, den wir schon in Uyuni organisiert hatten. Denn wir wollten noch den abgelegensten südlichen Teil Boliviens sehen und das hätte per Rad bedeutet, sich zwei Wochen lang ohne Dörfer, fast ohne Versorgungsmöglichkeit und Wasser über übelste Sand- und Rüttelpisten zu quälen und danach war uns nicht. Also wurden die vier Räder aufs Dach des Jeeps verfrachtet und zusammen mit dem Fahrer, seiner Frau und Kind gings los, weiter nach Süden. Vorbei an faszinierenden Lagunen mit zahllosen Flamingos, Geysiren und heißen Quellen gings durch kahle, aber beeindruckende Vulkanlandschaften.

 

Nach zwei Tagen waren wir im südwestlichsten Zipfel Boliviens angekommen und luden mein Rad vom Wagen. Ich wollte hier über die Grenze nach San Pedro de Atacama in Chile fahren. Die anderen wollten nach Argentinien und würden daher noch zwei Tage im Jeep weiter nach Osten fahren. Es war also mal wieder Zeit, "adios" zu sagen! Ich verabschiedete mich von Jeannette, Gerrit und Harald. Es war eine unglaublich tolle Zeit zusammen gewesen!

 

Noch ein paar Kilometer sandige Piste bergauf zum einsamen bolivianischen Grenzposten in einem baufälligen kleinen Gebäude und dann war meine Zeit in Bolivien vorbei. Ich könnte das Gleiche, wie am Ende meines Peru-Berichts schreiben. Es war ein unglaublicher Monat gewesen und das lag nicht nur an den netten Menschen und der faszinierenden und vielfältigen Landschaft Boliviens, sondern vor allem auch an den Leuten, mit denen ich in dieser Zeit unterwegs sein konnte!


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